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2017„Der Westen ist schuld an Putin, wie er jetzt ist“ von Herrman Weiß, Welt am Sonntag
Kaum jemand hat Wladimir Putin so oft fotografiert wie Daniel Biskup. Der Fotograf ist ein Freund und Kenner Russlands. Ein Gespräch über Perestroika und den Präsidenten – und warum der nun erst mal durch ist mit dem Westen.
Verdammt lang her. Das ist die erste Assoziation, wenn man Daniel Biskups Bilder aus Moskau sieht, die er zwischen 1988 und 2000 dort aufgenommen hat, „zwischen Perestroika und Putin“, wie er sagt. Genauso heißt auch seine Ausstellung in Augsburg (Schaezlerpalais, bis 7. Mai). Sie zeigt Biskup als Wegbegleiter des Aufbruchs. Dass seine Bilder heute fast schon wieder anachronistisch wirken, tut ihm selbst am meisten weh. Der Fotograf ist ein Freund Russlands und der Menschen.
Welt am Sonntag: Täuscht das oder sind Sie tatsächlich so was wie Wladimir Putins Lieblingsfotograf?
Daniel Biskup: Sagen wir so: Ich hatte öfter mal die Gelegenheit, ihn zu porträtieren. Das erste Mal im Sommer 2000, als er gerade Präsident geworden war. Das letzte Mal im Januar vergangenen Jahres. Ich habe ihn im Büro fotografiert. Am Schreibtisch. Aber auch beim Eishockey. Insgesamt war ich wohl sechs oder sieben Mal da.
Welt am Sonntag: Hat er sich verändert in der Zeit?
Biskup: Zwei Sachen sind gleich geblieben: dass er sehr leise spricht. Er flüstert fast. Und wenn er Deutsch mit einem redet, was er ja kann, ist er immer um Höflichkeit bemüht. Bei der ersten Begegnung wirkte er fast schüchtern. Er trat eher bescheiden auf.
Welt am Sonntag: Und jetzt?
Biskup: Wer ihn heute trifft, erlebt einen anderen Putin. Einen härteren. Einen, der Russland repräsentiert und zwar das starke Russland. Und das ist nicht gespielt: Er glaubt auch dran.
Welt am Sonntag: Aus dem offenen, zugewandten, neugierigen Putin ist ein egozentrierter Hardliner geworden: Was ist passiert?
Biskup: Ich denke, das hat was mit enttäuschter Liebe zu tun. Nach dem gesellschaftlichen Umwälzungen unter Gorbatschow und Jelzin Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre dachten viele Russen, der Westen würde ihr Land mit offenen Armen empfangen. De facto aber hat der Westen die Geschehnisse damals zu einer Art finalen Episode im Kampf der Systeme – Kommunismus gegen Kapitalismus – umgedeutet. Der Aufbruch, den die Russen sich selbst verordnet hatten, wurde als Sieg des Westens über den Osten interpretiert. Das haben die Russen gespürt. Das hat sie gekränkt. Denn sie wollten als Partner auf Augenhöhe behandelt werden.
Welt am Sonntag: Die Folgen spüren wir jetzt. Putins Außenminister Sergej Lawrow hat gerade auf der Münchner Sicherheitskonferenz für eine „postwestliche Weltordnung“ geworben.
Biskup: Das ist der Backlash, ja. Ein russischer Schriftsteller, den ich neulich getroffen habe, sagt: Der Westen ist schuld an Putin, wie er jetzt ist. Denn wir haben einfach nicht sensibel genug auf die Lage im Land reagiert.
Russland will ernst genommen werden und seine Interessen durchsetzen. Die Existenz der EU und ihr Zusammenhalt sind da eher hinderlich.
– Daniel Biskup, Fotograf
Welt am Sonntag: Die Abkehr vom Westen ist das Gegenteil jener Euphorie Ende der 80er-Jahre, als Sie zum ersten Mal nach Russland kamen, oder?
Biskup: Das kann man so sagen. Damals hab’ ich Bilder gemacht von einem Soldaten im Bus mit russischer und amerikanischer Flagge. Auf einem anderen Bus stand: „Success – Russian American Joint Venture“. Das kann man sich heute schon nicht mehr vorstellen.
Welt am Sonntag: Beschreiben Sie doch mal das Klima, das damals in Russland herrschte!
Biskup: Es drehte sich alles um Gorbatschow, Perestroika und Glasnost. Filme, die 20 Jahre lang verboten waren, liefen plötzlich im Kino. Es gab Wandzeitungen: Die Leute hatten zum ersten Mal das Gefühl, dass sie frei artikulieren können, was sie denken. Das war vorher nicht möglich gewesen oder nur unter Einsatz des Lebens oder auf die Gefahr, im Gulag zu landen. Ich habe ein Land im Umbruch erlebt, in dem alle gedacht haben, die Zukunft liegt vor ihnen. Vor allem die Jüngeren.
Welt am Sonntag: Alle fanden’s gut?
Biskup: Man hat an etwas Gemeinsames geglaubt und wollte gemeinsam etwas verändern. So habe ich es empfunden. Sogar als Ende der 80er-Jahre in der Sowjetunion die Nationalitätenfrage aufkam, als die baltischen Staaten auf ihre Identität pochten, ein Teil der ukrainischen Bevölkerung auf die ukrainische, die Georgier auf die georgische, sind beim Putsch gegen Gorbatschow trotzdem alle zusammen auf die Straße gegangen und haben Partei für die Reformer ergriffen.
Welt am Sonntag: Auf den Putsch gegen Gorbatschow 1991 folgte 1993 der Putsch gegen Jelzin. Es gab also auch Leute, die mit dem Paradigmenwechsel in Russland nichts anfangen konnten?
Biskup: Wenn man Leuten über Jahrzehnte hinweg einbläut, dass sie die besseren Menschen sind, die sozialistische Avantgarde und ein Vorbild für die Welt, und dann über Nacht das Experiment für beendet erklärt, kommt nicht jeder damit klar. Nicht alle konnten den Umschwung mitmachen oder wollten ihn mitmachen, weil sie andere Werte hatten als diese grell-kapitalistische Welt, die sich da vor ihnen auftat.
Welt am Sonntag: Wie war das und was hat das mit Russland gemacht?
Biskup: Das Fenster ging auf und man hat genommen, was man kriegen konnte: Wollte reich werden und Geld ausgeben, exzessiv leben, und die, die nur zugeschaut haben, haben das mit Entsetzen gesehen. Das war nicht das, was sie wollten. Da wollten sie lieber die heimelige Mangelwirtschaft des Sozialismus wiederhaben. Weil ihnen die auch eine gewisse Sicherheit gegeben hat.
Jelzin war krank. Man brauchte einen Nachfolger.
Welt am Sonntag: Toller Versuch! Jetzt hat man einen Präsidenten, der die Opposition mundtot macht.
Biskup: Die Opposition hat im Russland Putins keinen leichten Stand. Das stimmt. Den unabhängigen TV-Sender Doschd zum Beispiel kann man neuerdings nur noch im Internet sehen.
Welt am Sonntag: Was ist außenpolitisch von Russland zu erwarten?
Biskup: Ich fürchte, „postwestlich“ bedeutet, dass Russland den Westen auseinanderdividieren möchte. Russland will in Europa mitspielen. Es will ernst genommen werden und seine Interessen durchsetzen. Die Existenz der EU und ihr Zusammenhalt sind da eher hinderlich. Das ist auch der Grund, warum EU-Gegner von Marine le Pen über Geert Wilders bis Frauke Petry den Kontakt zu Putin suchen.
Welt am Sonntag: Sie waren vor Kurzem in New York und haben dort den neuen US-Präsidenten an seinem Schreibtisch fotografiert. Hat Donald Trump Sie an den Putin von 2000 erinnert?
Biskup: Trump war freundlich und zuvorkommend. Gar nicht so aufbrausend, wie man das von ihm kennt. Unterm Strich ein umgänglicher Typ. Bloß: Schüchtern und bescheiden aufgetreten wie Putin ist er nicht. Zurückhaltung ist nicht sein Ding. Er gibt dir umgekehrt aber auch nicht das Gefühl, dass du ein kleines Licht bist. Und er der wichtigste Mann der Welt.
Trump hat immer gesagt, dass er kein Politiker ist
Welt am Sonntag: Werden Trump und Putin sich vertragen oder werden sie sich kloppen?
Biskup: Hm. Ich weiß nicht, wie ernst man das nehmen muss, wenn die US-Regierung sagt, dass Russland die Krim wieder hergeben und in der Ukraine endlich Ruhe geben soll. Ob das schon eine Drohung ist. Oder ob es nur so dahingesagt worden ist. Das ist ja zur Zeit überhaupt so ein Trend.
Welt am Sonntag: Wie meinen Sie das?
Biskup: Ich meine: Trump hat immer gesagt, dass er kein Politiker ist und das kann man jetzt getrost unterschreiben. Der Mann nimmt kein Blatt vor den Mund. Ein Diplomat ist der nicht. Es ist aber so, dass die Sprache von Politikern generell verroht – denken Sie an die Scharmützel zwischen dem türkischen Präsidenten Erdogan und der Bundesregierung. Und an die verbalen Entgleisungen eines Viktor Orbán oder Lech Kaczyński. Das ist kein gutes Zeichen.
Die Mutter aus Danzig, der Vater Schlesier: Daniel Biskups Interesse am Osten hat auch familiäre Gründe. Bekannt wurde er 1989 durch seine Bilder vom Mauerfall. Biskup, Jahrgang 1962, hat u. a. Politik studiert. Er ist einer der wichtigsten, zeitgenössischen deutschen Fotografen