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2017Aufbruch ohne Ausblick: Daniel Biskups Bilder im Schaezlerpalais von Halrun Reinholz, Die Augsburger Zeitung
Der in Neusäss lebende Fotograf Daniel Biskup hat die Perestroika und danach den Putsch in der damaligen Sowjetunion mit beeindruckenden Fotos dokumentiert. Ausstellung und Bildband zeigen die Aufbruchsstimmung nach Jahrzehnten der Repression bis hin zu Putins erster Präsidentschaft, jedoch ohne Kommentar zur weiteren Entwicklung.
Drei junge Männer in Uniformen tragen rote Kissen mit Verdienstmedaillen vor sich her. Das Foto zeigt die Trauerfeier für die Opfer des Putsches, mit dem die Sowjetunion wieder hergestellt und die Liberalisierungen der Perestrojka rückgängig gemacht werden sollten. Die Welt hielt damals den Atem an, genauso wie sie davor ungläubig zusah, wie der neue Generalsekretär der KPdSU Michail Gorbatschow, ein vergleichsweise „junger“ Mann in dieser Funktion, den Sowjetbürgern „Transparenz“ (Glasnost) und eben die Umstrukturierungen der Perestrojka zugestand. Erinnerungen an den Prager Frühling wurden wach und ebenso groß war die Gefahr, dass die neuen Hoffnungen wieder von Panzern plattgemacht würden.
Daniel Biskup war damals Student der Politik und verfolgte die Ereignisse gebannt. Kein anderes Land hatte die Repression und Unfreiheit der kommunistischen Diktaturen länger ertragen müssen als die große, zu einem Einheitsblock zwangsvereinigte Sowjetunion. Sie war tonangebend im Ostblock und schon deshalb waren die Geschehnisse in dem Riesenreich mit großer Aufmerksamkeit zu verfolgen. Biskup spürte den Atem der Geschichte und fuhr mit seiner Kamera in die sich auflösende Sowjetunion – immer wieder. Die Bilder des Umbruchs von 1988 bis zum Amtsantritt Präsident Putins am Silvestertag 1999 sind mit Sicherheit eine der umfangreichsten und prägendsten Dokumentationen dieser historischen Ereignisse.
Die Bilder sprechen weitgehend für sich. Doch selbst Zeugen der damaligen Geschehnisse tun sich schwer, sich diese heute noch in Erinnerung zu rufen. Biskup hat die Ausstellung so aufgebaut, dass die Dinge chronologisch erzählt und somit als Gedächtnisstütze nachvollziehbar werden. Die konkreten Ereignisse bilden das Raster für Schnappschüsse aus dem Alltag der Menschen in Russland: Staunende Gesichter, Lachen, Erleichterung, Trauer, Entsetzen. Und dann: Leere Geschäfte, Schwarzhandel, Panzer, Drogen, Demonstrationen. Menschen, die neue Erfahrungen machen. Die darüber mehr oder weniger erfreut sind. Insgesamt jedoch: Aufbruchsstimmung. Und Angst. Und Entschlossenheit. Und wieder Aufbruchsstimmung. Minutiös lässt der Fotograf die Jahre von 1988 bis 2000 Revue passieren.
Die Ausstellung ist dreisprachig konzipiert – deutsch, englisch und russisch – und daher geeignet, an verschiedenen Orten gezeigt zu werden. Die Augsburger Kunstsammlungen haben dafür den zweiten Stock des Schaezlerpalais zur Verfügung gestellt. Vielleicht etwas zu versteckt, um viele Besucher anzuziehen. Doch der Aufwand lohnt sich, die Bilder nehmen einen gefangen.
Zum Nachschmökern gibt es auch noch den ebenfalls dreisprachigen Bildband, der dem Aufbau der Ausstellung genau entspricht. Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder hat das Vorwort dazu geschrieben. Er stellt dabei zutreffend fest, wie wichtig das Wissen um diese Neuorientierungsjahre ist, um die gegenwärtige Situation in Russland und den Nachfolgestaaten zu verstehen. Doch die Dokumentation endet mit dem Amtsantritt Putins, sicher damals ein Hoffnungsträger für viele seiner Landsleute. Daniel Biskup war der erste deutsche Fotograf, der Putin fotografieren durfte, als Kai Diekmann ihn damals für die Welt am Sonntag interviewte. Seither sind allerdings mehr Jahre ins Land gegangen, als die Dokumentation der Übergangszeit erfasst, und von Aufbruchsstimmung ist man heute in Russland weit entfernt. Die „Sehnsucht nach Stabilität“ hat leider dazu geführt, dass Repression wieder salonfähig wurde.
Die Kluft zwischen Reich und Arm ist enorm, Glasnost und Perestrojka sind auf dem Abfallhaufen der Geschichte gelandet. Freie Meinungsäußerung wird wieder unterdrückt in Putins „Demokratur“, alte und neue Feindbilder sind erwacht. Biskups Bilder eignen sich hervorragend zum historischen Mahnmal. Sie zeigen, dass eine Gesellschaft den Mut aufbringen kann zu Neuem. Sie muss nur gelegentlich daran erinnert werden, denn das Neue ist für viele auch unbequem.
Spannend wäre natürlich eine Fortsetzung der Dokumentation. Da dies im gegebenen Rahmen nicht möglich ist, hätte sich zumindest ein weiterführender Ausblick angeboten. Doch auch der 2016 erschienene Bildband enthält zur politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Putins Russland seit dem Jahr 2000 nicht einmal die Spur eines Kommentars.
– Quelle: http://www.daz-augsburg.de/?p=54780