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2017St. Petersburg als große Traumkulisse von Stefan Grund, Welt.de
Die Fotografien von Daniel Biskup sind nicht einfach nur Dokumente der Zeitgeschichte, sie sind bezaubernde Kunstwerke der Dokumentarfotografie. Biskup, der durch seine Porträts deutscher Kanzler von Willy Brandt bis zu Angela Merkel, russischer und amerikanischer Präsidenten, von Künstlern und Wirtschaftsgrößen bekannt wurde, pflegt eine zweite Leidenschaft. Er dokumentiert das alltägliche Leben in Russland, besonders in St. Petersburg und Moskau. Die Metropolen haben es dem Fotografen angetan, hier hat er seit 1988 regelmäßig die gesellschaftliche Entwicklung von Glasnost und Perestroika bis in die Gegenwart begleitet.
Die Ansichten aus St. Petersburg, die Autodidakt Daniel Biskup in den vergangenen 15 Jahren festhielt, können Hamburger nun in der Rathausdiele bis zum 30. September kostenlos bestaunen. Sie zu sehen und nicht begeistert zu sein ist unmöglich. Denn durch ihren Anblick erhält der Betrachter einen exklusiven Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse in Russland.
Zeitgleiche, einander widerstrebende Trends wie die Stalin-Renaissance und die Globalisierung werden sichtbar, fassbar. Dabei sind Biskups Fotos immer auch schön, stellen niemanden bloß, wahren Distanz. Die Ausstellung wird aus Anlass des 60. Jahrestages der Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und St. Petersburg gezeigt.
Biskup rückt die Menschen in den Vordergrund
Dabei stehen die Menschen auf Biskups Bildern oft im Vordergrund. Aber auch Fotos von Gebäuden, Autos oder Details, die er in Stillleben festhält, erzählen ganze Geschichten. In St. Petersburg komme er sich vor wie ein Theaterfotograf, der ein großes Drama begleite und in aller Ruhe festhalte, sagt der Fotograf. Dabei habe er das Gefühl, es gehe darum, keinen Akt zu verpassen. Die großartigen Bauten der Stadt aus dem 18. Jahrhundert bilden die Traumkulisse für besondere Momente, von denen Biskup die meisten als Straßenfotografien aus dem Moment heraus festgehalten hat.
Wenn er in St. Petersburg sei, stehe er morgens auf, fange an zu fotografieren und könne sich dann den ganzen Tag vor tollen Motiven nicht retten, erzählte der Fotograf bei der Eröffnung. Er komme auf seinen Reisen auch kaum zum Schlafen, man könne in dieser Stadt praktisch rund um die Uhr arbeiten. Bei den weltoffenen St. Petersburgern stoße er auf eine große Freundlichkeit, sagte Biskup. Dabei wirkt er selbst freundlich und sympathisch, weckt durch seine Ausstrahlung spontan Vertrauen. Das kann man nicht lernen. Biskup: „Ich frage nur: Kann ich euch fotografieren – und habe das große Glück, dass die Leute das für mich machen. Dann stelle ich sie noch kurz hin und mache das Foto. Mehr passiert da nicht“, sagt er bescheiden.
Biskup, der als erster deutscher Fotograf Aufnahmen von Vladimir Putin machen durfte, fotografiert aber gelegentlich auch mit recherchierten thematischen Schwerpunkten. So machte er auf seinen jüngsten Reisen in die ehemalige Zarenhauptstadt auch eine ganze Reihe beeindruckender Künstlerporträts. Dort sei er in der Szene weiterempfohlen worden, sodass sich ein Ateliertermin nach dem anderen „nach dem Schneeballprinzip“ ergab. Biskup nutzte die ungewöhnlichen Einblicke in die Szene, machte Bilder von bildenden Künstlern und hielt Schauspieler fest.
St. Petersburg beherbergt viel Parallelgesellschaften
Diese Künstlerbilder sind unter der Überschrift „Kreative Köpfe“ eine von sechs thematischen Gruppen der Rathausdielen-Schau, die von der Senatskanzlei und der Körber-Stiftung gemeinsam präsentiert wird. Sämtliche Aufnahmen stammen aus dem neuen Fotoband „St. Petersburg – Kontraste“ von Daniel Biskup. Die anderen fünf Schwerpunkte tragen die treffenden Titel „Junge Wilde“, „Rhythmus der Straße“, „Steinerne Zeugen“, „Im Bann der Geschichte“ und nicht zuletzt „St. Petersburgensis“.
Der Gesamteindruck der Fotos macht deutlich, dass es in St. Petersburg viele Parallelgesellschaften gibt. Von den genannten „Jungen Wilden“, die gern die Nächte durchfeiern, und den „Kreativen Köpfen“ der Kunst über die arbeitende Bevölkerung in Wirtschaft und Verwaltung, festgehalten auf Straßen und Märkten, bis zu den Senioren und Kriegsveteranen, die mit kargen Renten von der vergangenen Größe der Sowjetunion träumen – von den Gastarbeitern aus ehemaligen Sowjetrepubliken und entlegenen Landesteilen bis zu den Superreichen, die in Limousinen durch die prächtige Kulisse rauschen. Die Ausstellung aber vermittelt den Eindruck, dass es nach dem Einblick durch den Anblick bis zum Durchblick gar nicht mehr so weit ist.
– Quelle: https://www.welt.de/regionales/hamburg/article168667828/St-Petersburg-als-grosse-Traumkulisse.html